Wenn ein kleiner Ball die beste Medizin ist
Franco di Lena leitet den PingPongParkinson-Stützpunkt in Karlsruhe…. und ist Weltmeister
Von Christian Rapp
Karlsruhe. Franco di Lena braucht keine Worte. Eine Bewegung reicht. Der 65-Jährige streckt seinen rechten Arm in die Höhe. 15 Sekunden lang. Kein Zucken. Kein Zittern. Vor einiger Zeit sei das noch anders gewesen. Und zwar so: Di Lena fährt wieder seinen Arm aus, lässt die Hand zittern – wie ein Fan im Wildparkstadion kurz vor einer La-Ola. Oder wie Muhammad Ali 1996 in Atlanta, als er das Olympische Feuer entzündet. Franco di Lena hat Parkinson. Diese tückische Nervenkrankheit, bei der Nervenzellen im Gehirn absterben. Bewegungsarmut, Muskelstarre und Bewegungsblockaden (,,Freezing“) sind die Folgen. Wie eben auch das Zittern der Extremitäten. Doch der Deutsch-Italiener kämpft dagegen an.
„Seit ich Tischtennis spiele, geht es mir viel, viel besser.“
Franco di Lena, Leiter des PPP~Stützpunkts in Karlsruhe
Nicht mit kleinen weißen Pillen. Sondern mit einem kleinen weißen Plastikball. ,,Seit ich Tischtennis spiele, geht es mir viel, viel besser. Die Ärzte sind sehr zufrieden. Tischtennis bedeutet mir fast alles“, sagt di Lena. Weniger Medikamente, mehr Lebensqualität. Seit einigen Jahren gibt es Studien, die die Wirksamkeit von Tischtennis bei Parkinson-Patienten belegen: die Verbesserung der Beweglichkeit und des Gleichgewichtssinns, Förderung der Motorik und des Reaktionsvermögens.
Franco di Lena braucht aber keine Studien. Ihm reicht sein Arm als Beweis. Tischtennis, sagt er, sei zu einem Lebenselixier für ihn geworden. Es heilt Körper und Geist gleichermaßen. ,,Eigentlich spielen wir Pingpong. Wir haben Zeit und spielen miteinander, mit dem Ziel, den Ball so oft es geht über das Netz zu bringen.“
Denn während er über seine Krankheit erzählt, fliegen nebenan in der kleinen Turnhalle der Tulla-Grundschule die Bälle übers Netz. An neun Platten gleichzeitig. Neben di Lena schwingen 21 weitere Mitstreiterinnen und Mitstreiter an diesem Abend den Tischtennisschläger. Manchmal sind es aber auch 40, die montags, mittwochs oder freitags zwischen 17.30 und 19 Uhr den Weg in die Halle finden.
Sie alle sind Teil des PingPongParkinson-Stützpunkts in Karlsruhe, den di Lena leitet. Und sie alle, zwischen 57 und 83 Jahren, wie sie da bunt durchmischt an den Tischen stehen, eint der gleiche Gegner: Parkinson. Mit jedem Aufschlag, jeder Vorhand und jedem Slice wird der Nervenkrankheit der Kampf angesagt – und Lebensfreude (zurück)gewonnen.
,,Diese sozialen Kontakte tun unheimlich gut, viele tolle Leute sind hier,“, sagt Katja Neubauer. Nicht nur die Gemeinschaft als Seelenstreichler lindert ihre Beschwerden, sondern auch der Tischtennisschläger. Neubauer leidet unter einer „extrem verspannten Muskulatur“, wie sie sagt. PPP tue ihr.gut. ,,Da bewegt man sich ganz natürlich, Glückshormone werden ausgeschüttet“, sagt Neubauer.
Kein Nachdenken. Einfach machen.
Dass die Tullahalle an diesem Mittwochabend fast aus allen Nähten platzt, geht auf einen Schicksalsschlag 2018 zurück. Franco di Lena fällt mit seinem Motorrad um. Einfach so. Er kann sein Gleichgewicht nicht mehr halten. Wenig später folgt die niederschmetternde Diagnose: Parkinson. ,, Wie ein Touchdown war das. Aus heiterem Himmel“, sagt di Lena und macht mit den Händen ein Schlaggeräusch. Er ist am Boden. Seinen Beruf als Elektrotechniker kann er nicht mehr ausüben. ,,Strom und Parkinson passen nicht so gut zusammen“, sagt er und lacht. Damals aber ist ihm zum Heulen zumute. Er verbarrikadiert sich, wird depressiv. Einige Monate ist das so. 2019 werden die dunklen Wolken weniger. In Wolfach, einer Spezialklinik für Parkinson-Patienten, nimmt di Lena einen Tischtennisschläger in die Hand. „Ich habe sofort gemerkt, dass es mir guttut“, sagt di Lena. 17 Tage verbringt er in Wolfach, an jedem hat er den Tischtennisschläger in der Hand. Wieder Zuhause in Stupferich entschließt er sich, am (Tischtennis) Ball zu bleiben. Besucht Seminare, etwa in München. Lernt Leidensgenossen kennen, knüpft Kontakte. So kommt allmählich Bewegung in die Sache. Kurz vor Corona. Di Lena und zwei weitere Mitstreiter suchen eine Halle – und werden bei der DJK Karlsruhe Ost und der Tullaschule fündig. Pingpong ist zu seinem Lebensinhalt geworden. ,,Meine Frau sagt, dass es für mich nur noch Pingpong gibt“, sagt di Lena. Eine kleine Pause folgt. ,,Sie unterstützt mich aber total.“ Etwa, wenn er auf der Jagd nach WM-Medaillen ist. Wie 2023 mit seinem damaligen Partner Reinhard Kaltenegger bei der Parkinson-Weltmeisterschaft in Wels. Dort schmettert sich das Duo sensationell zur Goldmedaille. ,,Auf dem Treppe stehen, die Nationalhymne hören und die WM-Medaillen um den Hals baumeln lassen – grandios. Und dann noch die Sektdusche“, sagt di Lena und lacht.
In diesem Jahr hat es im slowenischen Lasko für WM-Bronze gereicht – mit seinem neuen Partner Dietmar Herz. Pingpong sei für ihn „wie Fliegen. Man ist befreit von der Umklammerung.“ Die Tullahalle nennt der Mann aus Steinbach im Baden-Badener Rebland Neuronenbeschleuniger. Wahrenddessen steht Franco di Lena an der Platte und schlägt auf zum Ballwechsel für die Lebensfreude.
Dreimal Training in der Woche in der Tulla-Grundschule
Großer Zuwachs: Seit rund vier Jahren gibt es mittlerweile den PingPongParkinson-Stützpunkt in Karlsruhe. Angefangen hat es mit drei Leuten, Ende 2024 umfasst die Gruppe rund 40 Mitglieder. Der Karlsruher Stützpunkt ist mittlerweile einer von über 100 in Deutschland. Der Verein „PingPongParkinson Deutschland“ wurde Anfang 2020 von Thorsten Boomhuis und Harry Wißler gegründet.
Kontakt: Der PPP-Stützpunkt in Karlsruhe, deren Leiter Franco di Lena ist, bietet dreimal in der Woche Training an – immer montags, mittwochs und freitags von 17.30 bis 19 Uhr in der kleinen Turnhalle der Tulla-Grundschule. Interessenten können eine Mail an ppp@parkinson-stammtisch-karlsruhe.de schicken oder das Kontaktformular auf der Internetseite www.parkinson-stammtisch-karlsruhe.de nutzen.